1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
316
Iii. Geschichtsbilder.
bis zum Abend des nächsten Tages auf
die rechte Brusthälfte ausdehnte. Nun
trat auch Unbehagen ein, so daß der
König am 9. im Bette blieb. Die
Schleswig-Holsteinische Angelegenheit be-
schäftigte, beunruhigte ihn. Schon am
5. März war Erzherzog Albrecht in
München eingetroffen, um eine Einigung
des österreichischen Hofes mit dem baye-
rischen in der leidigen Frage zu erzielen.
Noch am 9. März um 1 Uhr Nach-
mittags hatte der Erzherzog eine Unter-
redung mit dem Könige: abermals ohne
Erfolg. Nach 2 Uhr rief Max den
Kabinets-Sekretair, Hofrath v. Pfister-
meister, und übertrug ihm eine Sen-
dung an den Staatsminister Frhr. v.
Schrenk, und bald kehrte ersterer mit
der erwünschten Antwort zum Könige
zurück. Oesterreich gehe nach so eben
eingetroffenen Nachrichten auf die Vor-
schläge ein, die es noch vor wenigen
Tagen zurück gewiesen. Darauf sprach
der König: „Gott Lob, daß ich diese
Sache erledigt habe. Für heute genug.
Morgen mehr!" Noch an demselben
Tage erging an den bayerischen Bundes-
tagsgesandten die Weisung, einen An-
trag auf Einberufung der holsteinischen
Stände am Bundestag zu stellen. Mit
schwacher Hand unterzeichnete der König
im Bette liegend dieses Schriftstück. Es
war seine letzte Unterschrift, seine letzte
Regierungshandlung.
Die eintretende Königin erschrak
beim Anblicke ihres Gemahls; der Leib-
arzt erkannte die plötzlich hereingebrochene
Gefahr, und andere Aerzte wurden bei-
gezogen. Im Theater vernahm die ver-
sammelte Menge unmittelbar vor Be-
ginn der Vorstellung die Schreckensbot-
schaft und schnell verbreitete sich dieselbe
durch die ganze Stadt. Alsbald füllten
sich die Vorzimmer des Königs mit Per-
sonen aus allen Ständen, die da ängst-
lich einer tröstenden Nachricht harrten.
Um Mitternacht schien eine günstige
Wendung der Krankheit einzutreten,
doch bald schwand alle Hoffnung, und
um 4 Uhr des Morgens am 10. März
deutete der Leibarzt dem Köuige die
große Gefahr an, in der er schwebe
und theilte ihm zugleich mit, daß sein
Beichtvater zugegen sei. Mit gefaßtem
Muthe vernahm der König, der noch
keine besonderen Schmerzen, sondern nur
eine große Schwäche fühlte, die ver-
hängnißvollen Worte und sprach: „Jst's
so weit? Nun unser Herr Gott wird
es schon recht machen mit mir. Ich
habe immer das Beste gewollt!" Dann
blieb er mit seinem Beichtvater einige
Zeit allein und empfing die hl. Sterb-
sakramente. Darauf kamen die beiden
Prinzen; die Königin, welche ihn wäh-
rend der ganzen Nacht kaum auf Augen-
blicke verlassen hatte, hielt seine Hand
in der ihrigen. Auf sie war der letzte
Blick des sterbenden Königs, an sie sein
letztes Wort: „Liebe Marie!" — ge-
richtet. Während der Erzbischof tröstende
Worte zu ihm sprach, auf die er ein
leises Ja! lispelte, entschlummerte er
sanft zum Erwachen im bessern Leben.
Als der Erzbischof mit Thränen in
den Augen in das von Menschen dicht
gedrängte Vorzimmer trat und Viele
die leise Frage an ihn richteten: Lebt
der König? — antwortete er: Ja, er
lebt — im Himmel! Der Herr hat uns
einen guten König gegeben, der Herr
hat uns einen guten König genommen.
Gepriesen sei sein Name! Laßt uns
beten, daß er uns wieder einen gleich
guten gebe---------. Da sanken Alle auf
die Kniee und brachen in Schluchzen
und Weinen aus. Die ganze Stadt,
das ganze Land wurde von der Trauer-
kunde auf's tiefste erschüttert, zumal sie
der Nachricht von der Erkrankung un-
mittelbar gefolgt war. Jeder fühlte,
der allgemeine Vater sei gestorben, der
alle seine Landeskinder mit gleicher Liebe
umfaßt hatte.
Ueberall flössen, als die Trauer-
glocken läuteten, Thränen der unge-
heuchelten Liebe, des innigsten Schmerzes.
Zum Leichenbegängniß des Ver-
blichenen strömten Theilnehmende aus
allen Gegenden Bayerns herbei. Alle
Fürsten Deutschlands hatten Vertreter
abgeordnet, der Großherzog von Baden
aber erwies dem Dahingeschiedenen per-
sönlich die letzte Ehre. Von Berchtes-
gaden wurde ein Strauß seltener Alpen-
blumen gesandt, mit der Bitte, den-
selben in den Sarg des hohen Todten
zu legen. Schleswig-Holsteins Abge-
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- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
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460
Iii. Auszüge aus dramatischen Dichtungen.
Großen Dank!
Der Wirth.
Ei, Herr Just, ich will doch nicht hoffen,
Herr Just! daß Er noch von gestern her
böse ist? Wer wird seinen Zorn über Nacht
behalten?
Just.
Ich, und über alle folgende Nächte.
Der Wirth.
Ist das christlich?
Just.
Eben so christlich, als einen ehrlichen
Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus
dem Hause stoßen, auf die Straße werfen.
Der Wirth.
Pfui, wer könnte so gottlos sein?
Just.
Ein christlicher Gastwirth. —• Meinen
Herrn! so einen Mann! so einen Offizier!
Der Wirth.
Den hätte ich aus dem Hause gestoßen?
auf die Straße geworfen? Dazu habe ich
viel zu viel Achtung für einen Offizier,
und viel zu viel Mitleid mit einem abge-
dankten! Ich habe ihm aus Noth ein ander
Zimmer einräumen müssen. •— Denke Er
nicht mehr daran, Herr Just. (Er ruft in die
Scene:) Holla! — Ich will's auf andere
Weise wieder gut machen. (Ein Junge kommt.)
Bring' ein Gläschen; Herr Just will ein
Gläschen haben, und was Gutes!
Just.
Mach' Er sich keine Mühe, Herr Wirth.
Der Tropfen soll zu Gift werden, den —
doch ich will nicht schwören; ich bin noch
nüchtern!
Der Wirth (zu dem Jungen, der eine Flasche
Liqueur und ein Glas bringt).
Gib her; geh! — Nun, Herr Just,.
was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, ge-
sund. (Er füllt und reicht ihm zu.) Das kann
einen überwachten Magen wieder in Ord-
nung bringen!
, I u st.
Bald dürfte ich nicht! — — Doch
warum soll ich meiner Gesundheit seine
Grobheit entgelten lassen? — (Er nimmt und
trinkt.)
Der Wirth.
Wohl bekomm's, Herr Just!
Just (indem er das Gläschen wieder zurückgibt).
Nicht übel! ■— Aber Herr Wirth, Er
ist doch ein Grobian!
Der Wirth.
Nicht doch, nicht doch! — Geschwind
noch eins; auf einem Beine ist nicht gut
stehen.
Just (nachdem er getrunken.)
Das muß ich sagen: gut, sehr gut! —
Selbst gemacht, Herr Wirth?
Der Wirth.
Behüte! veritabler Danziger! echter dop-
pelter Lachs!
I u st.
Sieht Er, Herr Wirth, wenn ich heucheln
könnte, so würde ich für so was heucheln;
aber ich kann nicht; es muß heraus; —
Er ist doch ein Grobian, Herr Wirth!
Der Wirth.
In meinem Leben hat mir das noch
Niemand gesagt. — Noch eins, Herr Just,
aller guten Dinge sind drei!
Just.
Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahr-
lich gut Ding! — Aber auch die Wahr-
heit ist gut Ding. — Herr Wirth, Er ist
doch ein Grobian.
Der Wirth.
Wenn ich es wäre, würde ich das wohl
so mit anhören?
Just.
O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.
Der Wirth.
Nicht noch eins, Herr Just? Eine vier-
fache Schnur hält desto besser.
Just.
Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's
Ihm, Herr Wirth? Bis auf den letzten
Tropfen in der Flasche würde ich bei meiner
Rede bleiben. Pfui, Herr Wirth, so guten
Danziger zu haben, und so schlechte Mores!
— Einem Manne, wie meinem Herrn, der
Jahr und Tag bei ihm gewohnt, von dem
Er schon so manchen schönen Thaler ge-
zogen hat, der in seinem Leben keinen Heller
schuldig geblieben ist; weil er ein paar
Monate her nicht prompt bezahlt, weil er
nicht mehr so viel aufgehen läßt, — in der
Abwesenheit das Zimmer auszuräumen?
Der Wirth.
Da ich aber das Zimmer nothwendig
brauchte, — da ich voraus sah, daß der Herr
Major es selbst gutwillig würde geräumt
haben, wenn wir nur lauge auf seine Zu-
rückkunft hätten warten können? Sollte ich
denn so eine fremde Herrschaft wieder von
meiner Thür wegfahren lassen! Sollte ich
einem andern Wirthe so einen Verdienst
muthwillig in den Rachen jagen? Und ich
glaube nicht einmal, daß sie sonst wo unter-
gekommen wäre. Die Wirthshäuser sind
jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge,
liebenswürdige Dame auf der Straße bleiben?
Dazu ist sein Herr viel zu galant. Und
was verliert er denn dabei? Habe ich ihm
nicht ein anderes Zimmer dafür eingeräumt?
Just. ,
Einen Offizier, wie meinen Herrn! Oder
meint Er, daß ein abgedankter Offizier
nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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86. Der Taucher.
433
5. Ich singe, wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet;
Das Lied, das aus der Kehle dringt
Ist Lohn, der reichlich lotinet.
Doch, darf ich bitten, bitt ich Eins:
Laßt mir den besten Becher Weins
In purem Golde reichen.""
6. Er setzt ihn an, er trank ihn aus:
„,,O, Trank voll süßer Labe!
O, wohl dem hochbeglückten Haus,
Wo das ist kleine Gabe!
Ergeht's euch wohl, so denkt an mich,
Und danket Gott, so warm, als ich
Für diesen Trunk euch danke.""
86. Der
Bon Friedrich
1. „Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp',
Zu tauchen in diesen Schlund?
Einen gold'nen Becher werf' ich hinab,
Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
Er mag ihn behalten, er ist sein eigen."
2. Der König spricht es und wirft von der Höh'
Der Klippe, die schroff und steil
Hinaushä'ngt in die unendliche See,
Den Becher in der Charybde Geheul.
„Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
Zu tauchen in diese Tiefe nieder?"
3. Und die Ritter, die Knappen um ihn her
Vernehmen's und schweigen still,
Sehen hinab in das wilde Meer,
Und Keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum drittenmal wieder fraget:
„Ist Keiner, der sich hinunter waget?"
4. Doch Alles noch stumm bleibt wie zuvor —
Und ein Edelknabe, sanft und keck,
Tritt aus der Knappen zagendem Chor,
Und den Gürtel wirst er, den Mantel weg,
Und all' die Männer umher und Frauen
Auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.
5. Und wie er tritt an des Felsen Hang
Und blickt in den Schlund hinab,
Die Wasser, die sie hinunter schlang,
Die Charybde jetzt brüllend wiedergab,
Und, wie mit des fernen Donners Getose,
Entstürzen sie schäumend dem finstern Schooße.
6. Und es wallet und siedet und brauset und
Zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Fluth auf Fluth sich ohn' Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.
7. Doch endlich, da legt sich bte wilde Gewalt,
Und schwarz aus dem weißen Schaum
Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
Grundlos, als ging's in den Höllenraum,
Und reißend sieht man die brandenden Wogen
Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.
8. Jetzt schnell, eh' die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt,
Und — ein Schrei des Entsetzens wird rings
gehört,
Und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült,
Und geheimnißvoll über dem kühnen Schwimmer
Schließt sich der Rachen; er zeigt sich nimmer.
Marschall, Lesebuch.
Taucher.
v. Schiller.
9. Und stille wird's über dem Wasserschlund,
In der Tiefe nur brauset es hohl,
Und bebend hört man von Mund zu Mund:
„Hochherziger Jüngling, fahre wohl!"
Und hohler und hohler hört man's heulen,
Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem
Weilen.
10. Und wärf'st du die Krone selber hinein
Und spräch'st: Wer mir bringet die Krön',
Er soll sie tragen und König sein!
Mich gelüstete nicht nach dem theuren Lohn.
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
Das erzählt keine lebende, glückliche Seele.
11. Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel
gefaßt,
Schoß jäh in die Tiefe hinab;
Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
Hervor aus dem Alles verschlingenden Grab —
Und heller und heller, wie Sturmes Sausen,
Hört man's näher und immer näher brausen.
12. Und es wallet und siedet und brauset
und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Well' auf Well' sich ohn' Ende drängt,
Und wie mit des fernen Donners Getose,
Entstürzt es brüllend dem finstern Schooße.
13. Und sieh'! aus dem finster fluthenden
Schooß,
Da hebet sich's schwanenweiß,
Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß,
Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß,
Und er ist's und hoch in seiner Linken
Schwingt er den Becher mit freudigem Winken. —
14. Und athmete lang und athmete tief
Und begrüßte das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es Einer dem Andern rief:
„Er lebt! er ist da! es behielt ihn nicht!
Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
Hat der Brave gerettet die lebende Seele."
15. Und er kommt, es umringt ihn die ju-
belnde Schaar;
Zu des Königs Füßen er sinkt,
Den Becher reicht er ihm knieend dar,
Und der König der lieblichen Tochter winkt,
Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande;
Und der Jüngling sich also zum König wandte:
16. „Lang lebe der König! Es freue sich,
Wer da athmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist's fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen!
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444
Ii. Epische Dichtungen.
95. Hans Theuerlich..
Von Graf v- Pocci.
1. Mich dünkt es war ganz neuerlich
Ein Wirth, der hiess Hans Theuerlich.
Sein Braten war nicht Bäuerlich;
Sein Wein war etwas säuerlich.
Drei Wand’rer traten da herein,
Die riefen: „Wirth, nun schenk’ uns ein!
Wir wurden müd im Sonnenschein;
D’rum gib uns echten, guten Wein!“
2, Hans Theuerlich lief schlau und fein
Zum Keller mit dem Krug von Stein.
Dort stand ein Fass mit saurem Wein,
Und neben floss der tiefe Rhein.
Bedachtsam wie in eine Nuss
Zapft er vom Weine mit Verdruss,
Lässt dann herein in vollem Schuss
Den hochberühmten klaren Fluss.
3. Er bringt den Wein den Gästen dar
Und schwört bei seiner Ehr’ fürwahr,
Dass Wein so rein, so hell, so klar,
Noch nie in einem Fasse war.
Die durst’gen Drei, sie freuen sich;
Sie danken erst Hans Theuerlich,
Und trinken d’rauf ganz feierlich
Den Wein so matt und säuerlich.
4. Wohl warfen sie die Becher fort;
Doch schwört der Wirth hei seinem Wort:
Der Wein sei von der besten Sort’,
Ein wahrer echter Niblung,short,
Und schenket dann noch einmal ein
Den Gästen von dem klaren Wein.
Doch sieh! Drei Fischlein, nett und klein,
Die hüpfen aus dem Krug herein.
5. Die drehen gar behendiglich
Im Becher dort inwendig sich;
Es ward darum elendiglich
Der Wirth verlacht beständiglich.
Sie zahlten ihm den Wein nicht schlecht,
Auf dass er stets der Fisch gedacht.
Er that’s nicht mehr; doch hör’ ich recht,
So ist gar gross des Wirths Geschlecht.
96. Der rechte Barbier.
Von Adalbert v. Chamisso.
1. Und soll ich nach Philisterart
Mir Kinn und Wange putzen,
So will ich meinen langen Bart
Den letzten Tag noch nutzen.
Ja, ärgerlich wie ich nun bin,
Vor meinem Groll, vor meinem Kinn
Soll mancher noch erzittern.
2. Holla! Herr Wirth, mein Pferd! macht
fort!
Ihm wird der Hafer frommen.
Habt ihr Barbiere hier im Ort?
Laßt gleich den rechten kommen!
Waldaus, waldein, — verfluchtes Land! —
Ich ritt die Kreuz und Quer und fand
Doch nirgends noch den rechten. —
3. Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!
Du sollst den Barl mir kratzen;
Doch kitzlich sehr ist meine Haut,
Ich biete hundert Batzen;
Nur, machst du nicht die Sache grrt,
Und fließt ein einz'ges Tröpflein Blut, —
Fährt dir mein Dolch in's Herze.
4. Das spitze, kalte Eisen sah
Man auf dem Tische blitzen,
Und dem verwünschten Ding gar nah
Auf seinem Schemel sitzen
Den grimmigen, schwarzbehaarten Mann
Im schwarzen, kurzen Wams, woran
Noch schwärz're Troddeln hingen.
5. Dem Meister wird's zu grausig fast,
Er will die Messer wetzen, —
Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,
Es packt ihn das Entsetzen.
Er zittert wie das Espenlaub;
Er macht sich plötzlich aus dem Staub
Und sendet den Gesellen.
6. Einhundert Batzen mein Gebot,
Falls du die Kunst besitzest;
Doch merk' es dir, dich stech' ich todt.
So du die Haut mir ritzest. —-
Und der Gesell: Den Teufel auch,
Das ist des Landes nicht der Brauch. —-
Er läuft und schickt den Jungen.
7. Bist du der rechte, kleiner Molch?
Frisch auf! fang an zu schaben!
Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,
Das Beides ist zu haben;
Und schneidest, — ritzest du mich bloß,
So geb' ich dir den Gnadenstoß;
Du wärest nicht der Erste.
8. Der Junge denkt der Batzen, druckst
Nicht lang' und ruft verwegen:
Nur still gesessen, nicht gemuckst!
Gott geb' Euch seinen Segen!
Er seift ihn ein ganz unverdutzt,
Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt. —
Gottlob, nun seid Ihr fertig! —-
1867 -
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97. Der Schneiderjunge von Krippstedt. 98. Das Pferd und das Füllen.
445
9. Nimm, kleiner Knirps, dein Geld nur hin,
Du bist ein wahrer Teufel!
Kein and'rer mochte den Gewinn,
Du hegtest keinen Zweifel;
Es kam das Zittern dich nicht an,
Und wenn ein Tröpflein Blutes rann,
So stach ich dich doch nieder! —
10. Ei! guter Herr, so stand es nicht;
Ich hielt Euch an der Kehle;
Vergucktet Ihr nur das Gesicht,
Und ging der Schnitt mir fehle.
So ließ ich Euch dazu nicht Zeit,
Entschlossen war ich und bereit.
Die Kehl' Euch abzuschneiden.
11. So so! Ein ganz verwünschter Spaß!
Dem Herrn ward's unbehaglich;
Er würd' auf einmal leichenblaß,
Und zitterte nachträglich.
So so! das hätt' ich nicht bedacht;
Doch hat es Gott noch gut gemacht;
Ich will's mir aber merken.
97. Der Schneider junge von Krippstedt.
Von August Konisch.
Jn Krippstedt wies ein Schneiderjunge
Dem Bürgermeister einst die Zunge:
Es war im Jahr Eintausend siebenhundert.
Der Bürgermeister sehr sich wundert
Und find’t es wider den Respect,
Wesshalb er in den Thurm ihn steckt.
Es war nach der Nachmittagpredigt,
Die Kirche noch nicht ganz erledigt,
Am heil’gen Trinitatis-Tag:
Da geschah auf einmal ein grosser Schlag!
Es schlug mit Gedonner im Wettersturm
Der Blitz in denselben Sanct Niclasthurm.
Der Schreck durchfährt die ganze Stadt,
Die kaum sich vom Brand erhoben hat.
Was innen ist im Gotteshaus,
Das dringt mit aller Gewalt heraus :
Was aussen ist, das will hinein ! —
Da sieht man auf einmal Flammenschein
Von aussen an des Thurmes Spitze:
Da rief man: „Feuer! Wasser! Wo ist die
Spritze?“ —
— Die Spritze, ja, die ist dicht dabei;
Doch Kasten und Röhren sind entzwei! —
Wie saure Milch läuft Alles zusammen:
Man schreit und blickt ans die Feuerflammen.
Dazwischen, es war ein böser Tag, —
Hallt mancher Donner- und Wetterschlag ! —
Nun sammelt sich der Magistrat
Und Jeder weiss etwas, nur Keiner weiss Rath!
Der Bürgermeister, ein weiser Mann,
Sieht sich das Ding bedenklich an
Und spricht: Hört mich, wir zwingen’s nicht!
Der Thurm brennt nieder wie ein Licht.
Es kommt, wer hätte das gedacht sich,
Wie anno sechzehnhundertachtzig !
Erst brennt der Thurm, die Kirche, die Stadt
sodann;
D’rum ist mein Rath: rett’ Jeder, was er kann! —
Da laufen die Bürger; mit aller Kraft
Ein Jeder das Seine zusammenrafft.
Das ist ein Gerenn, wie fliegen die Zöpfe,
Wie stossen zusammen die Puderköpfe!
Auf einmal — was krappelt dort aus dem Loch
Am Thurm?— Der Junge!— Nein! — und
doch!
Er ist’s, er klettert zu Thurmes Spitze —
Der Schlingel! — Er nimmt vom Kopf die
Mütze,
Er schlägt auf das Feuer und — dass dich
der Daus!
Er löscht es mit seiner Mütze aus!
Er tupft am ganzen Thurm umher,
Man sieht nicht eine Flamme mehr!
Und während Alle jubelnd schrei’n,
Schlüpft er von Neuem in’s Loch hinein.
Er scheut des Magistrates Wesen
Und sitzt als wär’ gar nichts gewesen. —
Das mehrt den Jubel, die Bürger alle
Rufen ihm „Vivat!“ mit grossem Schalle;
Der Bürgermeister aber spricht,
Jndem sein grosser Zorn sich bricht:
Holt ihn heraus, ich erzeig’ ihm Ehr’,
Und thu’ für ihn zeitlebens mehr! —
„Da kommt er ganz russig der Knirps, der
Zwerg!
Hoch lebe der kleine Liewenberg!“ —
Der Bürgermeister sprach : „Komm’ Junge,
Streck’ noch einmal heraus die Zunge!
Jch leg’ dir lauter Dukaten d’rauf!
So, sperr’ den Mund recht angelweit auf!
Nur immer mehr heraus gereckt! —
Wir haben Alle vor dir Respect,
Und morgen wird, dass nichts manquirt,
Die grosse Spritze hier probirt
Und, was entzwei ist, reparirt!“
98. Das Pferd
Ein Füllen, das den ganzen Tag
Auf fetter Weide müssig lag,
Beschnaubte nur den Klee mit stolzer Nase,
Fand Ekel an dem besten Grase.
und das Füllen.
Ei. Nicolay.
j Zu einem ältern Pferd, das mit zur Weide ging,
Sprach es: Weisst du nicht eine Wiese,
! Die bess’re Kräuter hat, als diese ?
■ „Ja wohl, doch weit ist sie.“ — Die Sonne hing
1867 -
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103. Ans dem idyllischen Epos: „Louise".
451
103. Aus dem idyllischen Epos: „Louise"^.
Von I. H. Boß.
Als nun rings im Gesang die krystallenen Klänge melodisch
Klingelten, plötzlich erscholl mit schmetterndem Hall vor dem Fenster
Geig' und Horn und Trompete zugleich und polternder Brummbaß,
Eine Sonat' abrauschend, im Sturz unbändiges, scharfes,
Jähes Getöns: als kracht' einschlagender Donner aus blauem
Himmel herab, als braust' in den splitternden Wald ein Orkan her.
Denn an dem Hofthor hatten die Musiker leise gestimmet,
Daß unversehens aufgellte zum Gruß ein beherztes Allegro,
Eingeübt, wie freier Erguß tonreicher Empfindung.
So wie der Tön' Aufruhr sich empörete, klirrten die Fenster
Ringsum, dröhnte die Stub', und summt im Klaviere der Nachklang.
Jen' um den Tisch frohlockten vor Lust, und alle noch einmal
Klingten sie: „Hoch, hoch lebe der Bräutigam! lebe die Braut, hoch!
Jauchzend umher in den Klang der Krystall', und der Töne Gerassel;
Doch vor allen der Vater und sein lantbrummendes Kelchglas
Jubelten, mehr aufregend den Sturm glückwünschenden Zurufs.
Jetzo redetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau:
Ja, Gott fegn' euch, Kinder, in Ewigkeit! Das war ein Glückwunsch!
Kräftig und laut aus dem Herzen, der, festlichem Glockengeläut' gleich,
Ueber das Dorf hinschallt, wahrhaftiger, als der Kanonen
Jubelgetön, wann winkte der Hofmarschall von dem Erker!
Das hat Hans mir gemacht, kein anderer! Solcher Erfindung
Freut sich der Schalk! Wo ein Fest vorgeht, was Heimliches bringt er
Stets mit veränderter List. Mein Töchterchen, klopf' an das Fenster,
Daß sie herein doch kommen; sie sind uns liebe Gesellschaft.
Jener sprach's; da enteilte das rosenwaugige Mägdlein
Fröhlich und klopft' an das Fenster mit Macht; stracks hielten die Männer
Mitten im Takt und lauschten, wie hold und freundlich sie einlud:
Dank, ihr Herren, für die schöne Musik! Wie gerufen zum Glückwunsch
Kamt ihr, Kraft ihm zu geben und Nachdruck. Doch in der Herbstluft
Draußen zu steh'n ist hart für ein siebzigjähriges Alter.
Kommt doch herein, ihr Herren; ihr seid uns liebe Gesellschaft!
Also Louis' unmuthig; und draußen gefiel, was sie sagte,
Allen, den Greisen sowohl, wie den Jünglingen. Jetzt mit einander
Lobend das schöne Gesicht, den melodischen Laut und den Anstand,
Gingen sie und weissagten dem Bräutigam selige Zukunft.
Hell schon leuchtet' entgegen das Mütterchen über die Hausflur
Aus der geöffneten Stub' und hieß willkommen die Herren
Musiker, die mit Geräusch anwandelten. Aber die Männer
Traten hinein und grüßten mit mancherlei scharrendem Bückling,
Segen und Heil anwünschend dem neuvermähleten Brautpaar.
Hans auch folgte zugleich und trug schwerfällig den Brummbaß,
Schlau, mit verhaltener Lache, die streifichte Mütz' in der Rechten.
Ernsthaft redete jetzt der gemüthliche Vater im Strafton:
Hans, du gibst ja den Leuten ein Aergerniß! Voller Verwnnd'rung
Werden sie, alt und jung, aus den Wohnungen rennen und fragen:
Was für Lärm in dem Hofe des Pfarrherrn? Ist er so weltlich,
Daß er den Abend sogar vor dem Hochzeittage die Tochter
Fiedelt zu Bett' und trompetet? Wie wird wohl morgen gejubelt,
Wann sie im Kranze die Braut mit Musik hinführen zur Trauung!
Lauter gewiß, als wann mit klingenden Sensen und Liedern
Wir nach der Ernt' hintragen den Kranz, dem Altare zum Festschmuck!
Doch gut war es gemeint; ich danke dir. Aber noch mehr euch
Sagen wir herzlichen Dank, willkommene Freund' und Gevattern,
Euerer Lieb' und Ehre. Wohlan! flugs bringe Susanna
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') Dritte Idylle, die Vermählung, Ii. Gesang.
29 *
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
6
I. Erzählungen.
heit und dem sonderbaren Begehren des
Fremdlings; der Meister erhob bei ihrer
Rede erstaunt und unwillig sein Haupt,
denn das Roß, das geschlachtet werden
sollte, war wegen seiner Schönheit und
Schnelligkeit allgemein bekannt, und wie
ein Wunderthier durch viele Sagen be-
rühmt, wie es seinen Meister oft aus
den größten Gefahren gerettet habe.
Nach einigem Sinnen aber sprach der
Großmeister mit milder Stimme: „Ein
Mensch ist mehr werth als tausend Rosse;
bringt es dem Kranken und thut damit,
was er verlangt, auf daß er genese."
Und die Diener führten das edle Thier
in den großen Saal, wo die Kranken
lagen, vor das Bett des Armen. Einer
trug einen großen Block, ein Anderer
hatte ein scharfes Beil, ein Dritter einen
schweren Hammer; und als sie sich näher-
ten, erhob der Kranke sein Haupt, und
seine Augen leuchteten vor Freude. Der
Block wurde zurecht gestellt. „Welchen
Fuß verlangst du?" — „Den rechten
Vorderfuß." — Und der Fuß des Thieres
wurde auf den Block ausgestreckt, das
scharfe Beil darauf gelegt, und schon er-
hob der Tritte den schweren Hammer,
da rief der Kranke plötzlich: „Halt! Ich
habe nun ein anderes Verlangen. Gebt
2. Der Wagnermi
Ein kaiserlicher Feldoberst, der zu
Anfang des sechzehnten Jahrhunderts mit
spanischen Völkern im Württembergischen
lag, erhielt den Befehl, sich der Stadt
Constanz zu bemächtigen, so gut es gehen
wolle. Dieser fing sein Unternehmen mit
List an. Zwei Lanzenknechte, die unter
den Spaniern der deutschen Sprache
mächtig waren, schlichen sich einzeln in
Constanz ein. Auf der Gasse treffen sie
sich, wie zufällig. Der eine packt den
andem wegen einer alten Schuldsumme
an, der widerspricht, und durch das Volk,
welches zusammenläuft, werden beide vor
den Richter gebracht. Hier aber wissen die
schlauen Kameraden ihren Streit so einzu-
fädeln, daß der Richter seinen Spruch bis
zu der Herbeibringung der Beweise vertagt.
Unterdeffen nahmen die Kundschafter die
Gelegenheit wahr, die Lage und Stärke
mir Hammelfleisch zu essen, denn ich habe
großen Hunger." Man führte das Roß
zum Meister zurück und brachte dem
Kranken, was er begehrte; der aß mit
großer Begier, und nach zwei Tagen
dankte er den Brüdern für die ihm be-
wiesene Liebe und verließ das Hospital
genesen, wie es schien, von seinem Wahne
und seiner Schwäche.
Kurze Zeit darauf brachte ein Bote
folgendes Schreiben:
„Im Namen Gottes, des Allbarm-
herzigen, Allgütigen.
Saladin an die Ritter des Hospitals!
Wisset, ich war bei Euch, um Euch
zu versuchen, und ich habe Euch als wahr
erprobt, als Söhne dessen, der da Alles
geschaffen hat und erhält; Ihr übt Barm-
herzigkeit und Liebe nach dem Beispiele
und der Lehre Eures Meisters, den auch
ich ehre. Darum bestimme ich, daß fort-
an, so lange ich weile unter den Leben-
den, an Euer Spital alljährlich tausend
Goldstücke bezahlt werden, damit Ihr die
Armen und Kranken beherberget, kleidet
und tränket und gesund machet. Diese
Summe soll Euch stets am Feste Jo-
hannes des Täufers, Eures Schutzherrn,
zukommen und der Krieg soll daran nichts
ändern. Allah sei gelobt!"
ster von Constanz.
der Stadtmauer und was sonst zur Be-
festigung gehörte, genugsam auszuspüren.
Besonders richteten sie ihr Augenmerk
auf die Rheinbrücke. Durch diese war
nämlich die Stadt mit ihrem Vorstädt-
lein Petershausen auf dem rechten Strom-
ufer verbunden und sie schien ihnen der
beste Weg, wo man eindringen mußte.
Das schwere Fallgatter aber in dem
Thurm, welcher den Eingang von der
Brücke in die Stadt deckt, hatten die
zwei unbeachteten Strolche unbrauchbar
zu machen gewußt. Auf einmal waren
sie verschwunden, aber Niemand kümmerte
sich darum.
Da geschah es bald darauf eines
Montags früh, als gerade die Bürger
ein besonderes Fest feierten und die meisten
Leute in der Kirche waren, daß die Spa-
nier unbemerkt an die jenseitige Vorstadt
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
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10. Das Todtenzimmer.
17
Seine Waare zu empfehlen, meinte
der Knabe, sei nicht nöthig, sondern er
schaute nur einem von den Umstehenden
nach dem andern ins Gesicht und wischte
sich mit der Schürze den Schweiß von
der Stirne. Als aber der Bischof an-
fing, ihn zu fragen, antwortete er mun-
ter und sprach: „Ich gehöre dem Sand-
weib von Solnhofen, und die Steine
habe ich auf dem Berg hinter dem Kloster
gemacht. Und wenn Ihr noch mehr braucht,
so dürft Ihr mir nur Eure Steinhauer
mitgeben, so will ich ihnen zeigen, wie
sie es anfangen müssen."
Denn der Knabe war Benedikt, unser
Ziegenhirtlein. Er hatte nach der Abend-
suppe, bei der ihm seine Mutter von der
neuen Kirche in Eichstätt erzählte, nicht
mehr geschlafen; sondern ein Gedanke,
der ihm unter dem Essen gekommen war,
trieb ihn durch die Hinterthüre hinaus
auf den Berg, wo seine Steine lagen,
und von da mit ihnen in der mond-
hellen Nacht gen Eichstätt, wohin er den
Weg genau kannte von dem Sandhandel
her. Seine Mutter erschrack freilich, als
sie ihn in aller Frühe wecken wollte und
das Nest leer fand. Und sie konnte nicht
einmal gehen, ihn zu suchen oder ihm
nachzufragen. Denn die Ziegen waren
schon alle aus den Ställen gelassen und
standen meckernd auf der Gasse oder
naschten von den Blumenstöcken vor den
Fenstern des Pfarrhauses. Uebel oder
wohl, mußte sie thun, als wäre ihr Bene-
dikt krank. Sie nahm Geißel und Stecken
und trieb das Vieh selbst auf den Berg,
wo sie den langen, langen Tag unter ver-
geblichem Warten und Sorgen zubrachte.
Aber als sie Abends hinter der ge-
hörnten Schaar das Dorf hinunter ging,
kamen einige Maulthiere herauf ihr ent-
gegen. Und auf dem vordersten saß ihr
Benedikt hinter einem Knechte des Fürst-
bischofs, und zwar so munter, daß die
Wittfrau sogleich sah, es müsse ihm den
ganzen Tag über nicht schlecht gegan-
gen sein.
Und so war es auch. Der Bischof
hatte sich sogleich für die Pflastersteine
des Sandbuben entschieden und die frem-
den Steinmetzen in ihre Heimat entlassen,
den Knaben aber mit sich in sein Haus
genommen, gespeist und ihm versichert,
daß er für ihn und seine Mutter sorgen
wolle. Dann hatte er ihn mit dem Bau-
meister, der das Steinlager untersuchen
sollte, nach Solnhofen zurückgehen lassen.
Der Bischof hielt Wort. Nachdem
Benedikt bei einem Meister Steinmetz in
Eichstätt in der Lehre gewesen war, ließ
er sich in Solnhofen nieder und hatte
fortwährend so viele Bestellungen an
Pflaster- und Quadersteinen, daß es ihm
und seiner Mutter nie mehr an dem
täglichen Brode fehlte.
10. Das Todtenzimmer.
Ein Mönch aus dem Predigerorden
wanderte durch die Schluchten Calabriens
und schleppte, um die vorgeschriebenen
Gebete täglich verrichten zu können, sein
Brevier mit sich, ein großes, schweres
Buch mit hölzernem, messingbeschlagenem
Deckel. Spät Abends erreichte er nach
mühsamem Wandern eine einsame Wald-
schenke, in welcher er zu übernachten ge-
dachte. Allein der Wirth gab ihm mit
Achselzucken den unangenehmen Bescheid,
daß er für diesmal keine Aufnahme fin-
den könne, weil eine Gesellschaft von
Viehtreibern schon alle Räume des ohne-
hin beschränkten Häuschens mit Beschlag
belegt habe. Auf die Frage des Mönchs,
ob denn gar kein Plätzchen mehr zu
Marschall, Lescbuch.
haben sei, entgegnete der Wirth, es sei
allerdings noch ein Zimmer frei, das
sogenannte Todtenzimmer, aber sein Ge-
wissen verbiete ihm, es einem Fremden
zu überlassen. Der nun neugierig ge-
machte Pater drang mit weiteren Fra-
gen in den Wirth und erhielt folgende
Auskunft: In diesem Zimmer seien schon
drei Reisende Morgens todt im Bette
gefunden worden, ohne daß auch nur
die geringste Spur von Verletzung an
den Körpern dieser Opfer wahrzunehmen
gewesen. Auch sei weder das Gemach
erbrochen, noch von den Effekten der
Todten das mindeste entwendet worden,
weßhalb man denn vermuthen müsse,
daß hier ein böser Geist die Schläfer
2
1867 -
München
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- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
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18
I. Erzählungen.
hinwürge. Seit der Zeit heiße das Zim-
mer „Todtenzimmer" und werde von
Jedermann gemieden.
Durch diese Auskunft hätte sich wohl
mancher sonst heldenmüthige Erdensohn
zurückschrecken lassen, denn mit Geistern
mag nicht gerne einer zu schaffen haben;
allein unser Dominikaner gehörte unter die
Leute, die, ein gutes Gewissen im Herzen,
selbst vor dem Tode keine Furcht bewei-
sen. Erbestand darauf, dieses Gemach zur
Schlafstätte zu wählen, und der Wirth
gab endlich nach. Der Gast besah sich
vorerst das so unheimlich geschilderte
Gemach näher und fand ein ganz ge-
wöhnliches Stübchen; ein Tisch, ein Stuhl
und ein Bett waren die einzigen Ge-
räthe; von Fallthüren oder geheimen
Zugängen ilirgends eine Spur; und so-
hin legte sich der Mönch ruhig zu Bette.
Doch da fiel ihm ein, daß er für heute
sein Brevier noch nicht ganz gebetet habe,
und er schlug deßhalb ganz gegen seine
Gewohnheit im Bette sein Buch auf und
wollte noch vor dem Einschlafen seine
Gebete vollenden. Allein die Natur war
stärker als sein Wille; bald schlief er
ein, das Brevier aufgeschlagen vor sich
auf der Bettdecke liegen lastend.
Kaum graute der Tag, als der Wirth
11. Sck
Auf dem Zuge der französischen Armee
nach Rußland im Jahre 1812 kam eine
Compagnie des 42. Infanterie-Regiments
in ein unansehnliches polnisches Dorf zum
Quartier. Der Wirth, ein Jude, erhielt
einen Sergeanten mit zwölf gemeinen
Soldaten. Obwohl durch vorausgegan-
gene Einquartierungen schon hart mit-
genommen, bot doch der arme Mann
Alles auf, um seine ungebetenen Gäste
zufrieden zu stellen. Es fehlte ihm aber
an Weißbrod. Die Gemeinen ließen sich
wohl das bei den Franzosen nicht be-
liebte Schwarzbrod gefallen, aber der
Führer, ein junger unerfahrener Mensch,
wollte sich damit durchaus nicht begnü-
gen. „Weißbrod schaff' her, Jude, oder
ich sende dich in Abrahams Schooß!" —
so schrie er mit donnernder Stimme und
warf das ihm vorgelegte Stück Schwarz-
die Stiege herauf kam und sich zagend
dem verhängnißvollen Zimmer nahte, um
nachzusehen, ob auch der diesmalige Gast
die Zahl der Todtenopfer vermehrt habe.
Aber wie groß war sein Erstaunen und
seine Freude! Der Mönch lag frisch und
gesund und noch in tiefem Schlafe; sein
großes Buch noch vor ihm, aber ge-
schlossen. Ein lauter Ausruf des Wirthes
weckte den Schläfer, und wie der Soldat
beim Erwachen seine Waffe sucht, so
griff der fromme Mönch sogleich nach
seinem Brevier, dem Wirthe mit heiterer
Laune erzählend, daß er einen läßigen
Beter beherbergt habe, einen schwachen
Krieger Gottes, der seinem Feinde, dem
Schlafe, schon beim ersten Angriffe er-
legen sei und vor ihm seine Waffe nie-
dergelegt habe. Als aber der Mönch
sein Brevier aufschlug, da überfiel die-
sen, wie den Wirth, ein plötzliches Grau-
sen; denn in dem Buche lag zerquetscht,
gerade zwischen dem 30. und 90. Psalm,
eine jener furchtbaren giftigen Vipern
Italiens, die mit einem einzigen Bisse
tödten. Es lautet aber die hier so be-
deutungsvolle Stelle des Psalms: „Weg-
schreiten wirst du über Schlangen und
Basilisken; zertreten Löwen und Dra-
chen."
brod fluchend in eine Ecke des Zimmers.
Zitternd schlich der erschrockene Wirth
zur Thüre hinaus, um für den Franz-
mann Weißbrod ausfindig zu machen,
und endlich gelang es ihm, mit vielen
Bitten solches zu erlangen. Er brachte
es dem Sergeanten, und nun legte sich
der Zorn des rauhen Kriegers. Der
Wirth holte dann schweigend das weg-
geworfene Brod aus dem Winkel hervor,
in welchen es geflogen war, und ver-
schloß es bedachtsam in einem Wand-
schrank, dessen Schlüssel er abzog und in
seine weite Rocktasche steckte. Unter schal-
lendem Gelächter schaute der Sergeant
dem zu. Des andern Tages, als er mit
seiner Rotte abzog, sprach er zum Wirthe:
„Wenn wir wiederkehren, wird das Brod,
welches du gestern verstecktest, wohl ziem-
lich hart sein!" — Der Jude lächelte und
1867 -
München
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- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
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- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
12. Zwei Fahnenjunker.
19
schwieg. Der Ausgang des Feldzuges nach
Rußland ist bekannt. Geschlagen, zerstreut,
durch Kälte und Hunger fast aufgerieben,
von den nachsetzenden Kosaken auf dem
Fuße verfolgt, flohen die Neste der fran-
zösischen Armee nach Polen zurück.
Es war an einem der kältesten Win-
tertage, und unser polnischer Wirth eben
damit beschäftigt, das Eis vor seinem
Brunnen aufzuhauen, als eine in Lum-
pen gehüllte, abgezehrte und vor Kälte
fast erstarrte Menschengestalt ans ihn
zuwankte. Kaum erkannte der Jude in
diesem armseligen Gerippe den vorher so
stattlichen Sergeanten wieder, welcher mit
wildem Uebermuthe das Schwarzbrod von
sich geworfen hatte. Vor Frost zitternd
und dem Hungertode nahe, flehte der Un-
glückliche demüthig um Aufnahme und
Pflege. Der Wirth führte ihn gleich in die
Stube, wo schon Stroh auf dem Boden
bereit war. O wie erquickte die arme
Lagerstätte im warmen Zimmer den vor
Kälte fast erstarrten Soldaten! Nur sein
leerer Magen wollte sich damit nicht
ganz begnügen. Der Wirth, wohl mer-
kend, wo es fehle, ging und brachte
statt der erwarteten Schüssel nichts als
— einen Schlüssel. Mit diesem öffnete
er den Wandschrank und langte aus
demselben ein Stück kohlschwarzes, stein-
hartes Brod hervor. „Freund," sprach
er zum Sergeanten, „kennst du dieses
Brod? Bis zu deiner Zurückkunft ist es
freilich sehr hart geworden; doch ich
denke, der Hunger hat gute Zähne!" —
„Ja, die hat er," entgegnete der Soldat
und griff gierig nach dem steinharten
Brode. Schnell hatte er es verzehrt,
während der Jude mitleidig zuschaute.
Eine Thräne rollte diesem die Wange
herab und er rief aus: „Gott Abrahams,
Isaaks und Jakobs, du bist gerecht und
gerecht sind alle deine Gerichte! Sieh'
Fremdling, damals als du dieses Stück
Schwarzbrod wegwarfst, dachte ich schon,
vielleicht kommt die Zeit, wo du gerne
deinen Hunger damit stillen möchtest!
Und heute ist die verachtete Gabe ein
Leckerbissen für dich gewesen." Beschämt
schlug der Soldat seine Augen nieder;
dann hob er wehmüthig seine Blicke gen
Himmel und bat Gott und den Wirth
um Verzeihung ob des begangenen Fre-
vels. Dieser reichte ihm die Hand, er-
quickte ihn mit Speise und Trank, gab
ihm noch Lebensmittel auf mehrere Tage
mit und zeigte ihm einen sichern Weg,
auf welchem er, ohne von den nachsetzen-
den Kosaken beunruhigt zu werden, in
kürzester Zeit nach Wilna zu seinem Re-
gimente gelangen konnte.
12. Zwei Fahnenjunker.
Der unheilvolle Tag von Jena und
Auerstädt (14. Okt. 1806) war zu Ende.
Das preußische Heer war auseiuander-
gerissen, zersprengt und zog sich in ein-
zelnen Abtheilungen planlos, ohne ein-
heitliche Leitung zurück. Noch wäre nichts
verloren gewesen, wenn ein Mann es
verstanden hätte, die Trümmer des Hee-
res mit besonnenem Muthe zusammen
zu ziehen; denn diese waren noch stark
genug, um dem Feinde dreist die Stirne
bieten zu können. Wenige Tage darauf
war es schon zu spät. Ohne Widerstand
zu leisten, streckten mehrere Corps die
Waffen, wie ja ein muthloses Beispiel
in der Zeit des Unglücks Tausende mit
sich fortreißt, weil Ruhe und Besonnen-
heit fehlen.
Diesem entmuthigenden Beispiele aber
folgte das Regiment Treskow nicht. Die-
ses war eines der schönsten und tapfer-
sten in der ganzen preußischen Armee.
Seit langen Jahren fftand es in dem
Rufe der Unerschrockenheit und todes-
muthigen Kühnheit. Bei Cröllwitz un-
weit Halle stieß es auf eine weit über-
legene französische Heeresabtheilung. Sich
unbemerkt zurückziehen war unmöglich;
außerdem schloß hinter Cröllwitz die
Saale jeden weitern Rückzug ab. Der
tapfere Commandant faßte den Entschluß,
die feindliche Colonne zu durchbrechen;
aber auch diesen Entschluß mußte er
wieder aufgeben, denn der Feind war
zu stark, und überdies das Terrain zu
ungünstig. Es blieb nur eine Wahl,
Streckung der Waffen oder äußerste Ver-
theidigung und Tod. Der Commandant
2*